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Geschichte Des Westens: Die Zeit Der Gegenwart



Sein Schreiben möchte, dass wir uns davon verabschieden, den Menschen als rational handelndes Wesen zu betrachten. Dies erst würde den Blick freimachen. Sein Buch heißt im Untertitel Geschichte der Gegenwart, doch nur am Anfang und am Ende ist wirklich von der Jetztzeit die Rede, Mishra schaut in unsere Vorgeschichte und damit zurück in die Zukunft, er findet dabei das Herz der Finsternis. Sein Buch handelt eigentlich vom Kampf zweier Franzosen im späten 18. Jahrhundert. Voltaire und Rousseau. Voltaire steht für einen neuen Typus, der sich nach der Revolution erstmals in den bürgerlichen Salons ausbildete und nach dem Sturz des Ancien Régime seine Flügel weit ausbreitete, um sich die Welt auf neue Art untertan zu machen. Deren Motor: die Ideen der Aufklärung. Rousseaus Ideale waren denen Voltaires gar nicht so fern, er zog nur völlig andere Schlüsse. Voltaires ökonomisches Berater- und Unternehmertum widerte ihn genauso an wie die kosmopolitischen Eliten in der Metropole Paris, Rousseaus leidenschaftlicher Fortschrittsunglauben inspiriert Gegenbewegungen bis heute. Viel von dem französischen Skeptiker steckt auch in Mishra.




Geschichte des Westens: Die Zeit der Gegenwart



Hochmuth wählt als Ansatz eine vergleichende Methode in Form einer "blockübergeifenden parallelen Problemgeschichte" (14) nach Kleßmann, mit dem Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Verflechtungen zwischen beiden Bezirken gesucht werden. Die Analyse ist insgesamt eher narrativ angelegt denn als strukturgeschichtlich-systematischer Vergleich, was zu einer deutlich erhöhten Lesbarkeit auch für breitere Kreise von an Stadt- und Lokalgeschichte Interessierten führt. Hochmuth unterstellt als Prämisse für die staatssozialistische Sphäre der DDR des Bezirks Friedrichshain einen pluralisierten öffentlichen Raum und unterstützt damit ein flexibles Verständnis von Öffentlichkeit, ohne dass eine solche Ost-West-Vergleichsstudie zu einer bloßen positiv-negativ-Folie herabgestuft würde. Der Autor bezieht Ansätze wie etwa die Visual History mit einer exakten Analyse von Fotos oder von Filmen ein ("Die Legende von Paul und Paula" von Heiner Carow als berühmtester Friedrichshain-Film und einem der erfolgreichsten Filme der DDR überhaupt) und unterstreicht somit seine Kompetenz im reflektierten Einsatz modernster geschichtswissenschaftlicher Analysemethoden. Primärer Untersuchungszeitraum sind die 1960er bis Ende der 1980er Jahre mit einem knappen historischen Vorlauf und einem Nachklapp bis zur gentrifizierten Gegenwart der beiden Wohnlagen, die heute mit ihren pittoresk sanierten Mietskasernen zu den attraktivsten der Hauptstadt gehören.


So versteht es Hochmuth, trotz einer dezidiert mikrogeschichtlichen Perspektive die lokal- und die zeitgeschichtliche Schwerpunktsetzung zweier Straßen im Berliner Osten dennoch in den gesamtgeschichtlichen Kontext der Urbanisierungs- und allgemeinen Gesellschaftsgeschichte einzubetten. Sein lokaler Ansatz ermöglicht eine Konkretisierung der Vergleichsmomente mit lebendigen Akteuren oder punktuellen Verflechtungen, die auch tatsächlich lokal wirksam stattfanden. Dadurch wird seine exemplarische Geschichte der Individualisierung und Erarbeitung privater Rückzugsräume für Stadtbewohner als ein anthropologisches Grundelement der Urbanisierungsgeschichte des 20. Jahrhunderts, die erst nach 1945 so richtig realisierbar war, äußerst lebendig und nachvollziehbar. Der Autor arbeitet dabei die deutlichen Unterschiede, aber auch die temporalen Konvergenzen zwischen Kreuzberg und Friedrichshain als lokale Berliner Prototypen der Systemkonkurrenz gut heraus. Es wird deutlich, dass die Bewohner in beiden Straßen trotz der Mauer vor ähnliche gesellschaftliche Herausforderungen gestellt wurden und sich ihnen differenzierte Freiräume und Nischen für alternative Lebensformen eröffneten, mit denen sie neue Gegenöffentlichkeiten etablieren konnten. Insgesamt konstatiert Hochmuth deutlich weniger Verflechtungskomponenten zwischen beiden Stadtbezirken in der Zeit der Teilung als ursprünglich erwartet. Der Autor hat nicht nur ein höchst lesbares und relevantes Stück lokalbasierter Urbanisierungs- und Stadtgeschichtsforschung erarbeitet, sondern mit seinem Schlusskapitel und der Beschreibung der Genese der Gentrifizierung der aktuell so hippen Bezirke Kreuzberg und Friedrichshain und der Bedeutung des Kiez-Phänomens ein auch für aktuelle gesellschaftliche Fragen höchst interessantes Buch verfasst, das die Forschung bereichert und hoffentlich viel gelesen wird. 041b061a72


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